Geburtstagszauber
08.08.2114
Andrea:
Liebes Tagebuch,
Wie soll ich das nur in Worte fassen? All die Erlebnisse, die neuen Erkenntnisse und vor allem das nützliche Wissen … unmöglich, das alles festzuhalten, aber ich, Andrea Loredan, werde es versuchen. Gescheitert wird nicht, vor allem nicht nach den gestrigen Erfolgen.
Es ist übrigens schon Nachmittag, obwohl ich gerade erst aufgestanden bin. Du kannst dir also denken, dass die Party laaange ging. Kein Wunder, bei so einem smarten Gastgeber.
Vorab ein paar explosive Stichpunkte: Feuerwerk, Kuss (Ja, richtig gehört!), Vespa, brüderlicher Nutzen, Eisverkäuferin.
Also los: Mein Geburtstag begann traditionell mit meinem italienischen Lieblingsgebäck: Pinienseufzern. Natürlich sind die meisten überzeugt, das sei nur etwas für Weihnachten, aber Dinge, die so schmackhaft sind, können unmöglich an einen so kleinen Zeitraum gebunden sein. Mamma hat sogar Pinienseufzertorte mit Kerzen zum Auspusten drauf gezaubert. Ach, was für ein Spaß, denkst du sicher. Lustig war es allerdings spätestens dann nicht mehr, als sich beim Pusten meine magischen Fähigkeiten verselbstständigten und die ganze Torte durch einen kleinen Tornado in alle Winde zerstreut wurde. Mein Zimmer lag im Pinienseufzerchaos, obwohl ich in den letzten Tagen so viel Stress mit dem Aufräumen hatte.
Ich rechnete mit einer weiteren Strafpredigt von Mammas Seite aus, doch alle lachten nur über mich (das Gelächter schallt immer noch durch meine Ohren). Selbst Florentina versuchte sich im Kichern. Sie war auch die einzige, die die Pinienseufzer noch vom Boden aß, während die anderen sich, ohne auch nur an Hilfe zu denken, schon zum Frühstückstisch begaben.
Dank mangelnder Beobachter schaffte ich es aber auch, allein Ordnung zu machen. Florentina staunte nicht schlecht, als die unzähligen kleinen Krümel in die Luft flogen, um sich ganz gesittet wieder zu einer Torte zusammenzufinden.
Den Rest des Vormittags verbrachte ich damit, wie aufgescheucht durch die Gegend zu rennen und alles vorzubereiten. Da musste der Tisch gedeckt und dekoriert werden, der DJ sich einrichten, Girlanden und Lampions aufgehängt, die Tanzfläche freigehalten und der Eiswagen platziert werden. Das reinste Durcheinander!
Gerade weil so viel los war, kam ich anfangs gar nicht dazu, die Eisverkäuferin ins Visier zu nehmen. Ich habe aber genau gesehen, dass sie sich mit meinem Bruder Franco unterhalten hat. Ich muss ihn deswegen noch ausquetschen. Es war Norina, die uns alle vor einem weiteren Florentinaunfall bewahrte. Franco, der zerstreuteste Vater der Welt, hat von den Angriffen seiner Tochter herzlich wenig mitbekommen. Ständig lässt er sich ablenken und muss dringend etwas wegen des Studiums recherchieren. Das kann einfach nicht gesund sein! (Vor allem nicht diese bedingungslose Anbetung Leonardo da Vincis). Als die Tata dann da war, um auf Florentina aufzupassen, hat sich Franco gleich wieder in die Bibliothek verkrümelt. Dabei ist Tata kein gutes Kindermädchen. Letztens hat sie behauptet, mit Florentina Verstecken spielen zu wollen. Wir hielten das für eine gute Idee, bis wir herausfanden, dass sich die Tata im nächsten Café versteckte, um mit ihrem Liebhaber zu knutschen. Franco hat ihr trotzdem Geld gegeben. Ich hätte die olle Tata gefeuert, auch wenn sie die schönsten Beine der Stadt hat.
Schöne Beine und noch einiges anderes fürs Auge hat auch Elena aus meiner alten Schulklasse. Zusammen mit unserer ganzen Clique habe ich sie eingeladen. Natürlich waren auch Freunde vom Stützpunkt der Hexenmeister da. Das sind noch nicht ganz so viele, aber ich bin auch erst drei Monate dort nd habe noch genug Zeit, alle zu beeindrucken.
Elena hat mir teures Zeichenpapier geschenkt. Wie die anderen nichtmagischen Freunde denkt sie, ich würde nun auf eine Elitekunstschule gehen. Elena zeichnet übrigens auch. Sie ist einfach perfekt. Ich würde gern einmal ein Portrait von ihr zeichnen. (Ein Aktportrait versteht sich). Egal! Elena versprach mir den ersten Tanz und ich begrüßte dann die anderen Gäste.
Nachdem die Party schon ein wenig in Schwung gekommen war, hörten wir durch die laute Musik hindurch (und das will etwas heißen) ein Motorengeräusch. In meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht gedacht, dass es etwas mit mir zu tun hat. Aber es war ein Geschenk für mich.
Mein Bruder Vincenzo, der ein Lehrmeister der Wasserbändiger ist, fuhr mit einer himmelblauen Vespa vor. Der Roller funkelte wie nagelneu und mein Herz setzte vor Aufregung einen Moment aus. Ich bekam einen Helm mit Wolkenmuster und coolen aufgemalten Flügeln. Wenn das nicht die Fahrt beflügelt, weiß ich auch nicht. Den Roller musste ich sofort testen und so holperte ich ein paar Minuten durch unsere Gasse. Es war berauschend.
Gleich im Anschluss und zur Abkühlung meines Gemüts bekam ich von der Eisverkäuferin eine Sechzehn aus Limetteneis. Kannst du dir das vorstellen? Ein s kunstvolles Eis traut man sich fast gar nicht zu essen. Aber ich hatte Hunger.
Hungrig war ich auch nach Informationen. Vincenzo ist wie gesagt ein Hexenmeister. Sonst gibt es keine Magier in der Familie. Ich gesellte mich zu ihm und versuchte ihm ein paar Anhaltspunkte zu entlocken. Bis Vincenzo schnallte, dass die Eisverkäuferin gemeint war und bis er sie erkannte, verging eine halbe Ewigkeit.
Wir stellen uns dann sogar beim Eiswagen an. Auch wenn ich mir gerade mit einer riesigen Limetteneissechzehn den Bauch vollgeschlagen hatte, nahm ich noch eine Kugel. Vincenzo wählte Schokoeis, während er sich mit Norina unterhielt. Er war total verkrampft, aber sie kannten sich auf jeden Fall.
Zur Erinnerung: Norina hatte letztens bei uns in der Küche kochendes Wasser, das Mamma fast verbrüht hätte, in kaltes Wasser verwandelt. Ich hatte es genau gesehen. Jetzt war ich mir ziemlich sicher, dass Norina eigentlich eine Hexenmeisterin ist.
Nachdem Vincenzo und ich ein kleines Kleckerdebakel inszenierten, bei dem sein Hemd mit Eis eingesaut wurde, gingen wir, unter dem Vorwand saubere Kleidung zu suchen, nach oben in mein Zimmer.
Vincenzo konnte mir bestätigen, dass Norina eine Wasserbändigerin war. Sie hatte sich allerdings vom Stützpunkt zurückgezogen. Er sprach von einer eskalierten Situation, wusste aber nichts Näheres. Na ja, was soll’s: Der Anfang ist gemacht. Auch wenn Vincenzo darauf bestand, dass ich nicht wieder Forschungen auf Grund mysteriöser Tatsachen anstellte, werde ich der Sache natürlich auf den Grund gehen.
Vorerst aber kümmerte ich mich um meinen Geburtstag. Sechzehn wird man nicht andauernd.
Je später der Abend wurde, desto lockerer wurde auch mein Tanzbein. Das führte nicht gerade dazu, dass ich, wie in meiner Fantasie, eng umschlungen mit Elena tanzte, aber ich kam dennoch auf meine Kosten.
Als es dann so richtig dunkel wurde, wirkten die bunten Lampions noch eindrucksvoller. Das konnte nur noch das coole Feuerwerk toppen, das von meinem Lehrer Rafael und einem Lehrmeister der Feuerbändiger vorgeführt wurde.
Rafael ist sowieso der beste Lehrer, den ich bekommen konnte. Vincenzo kann meine Bewunderung nicht nachvollziehen und behauptet Rafael sei nur ein Macho, aber dafür ist es auch Rafael, der immer die schönsten Frauen dabei hat. Die sind nämlich hin und weg von seinen Fähigkeiten.
Das Feuerwerk war wirklich die Krönung des Tages. Da wurde ich sogar als kleine Feuergestalt auf meiner Vespa am Himmel gezeigt. Richtig gut und meiner würdig!
Zum Abschluss des Feuerwerks hat dann aber mein Gehirn ausgesetzt, denn auf einmal stand Elena direkt vor mir und, sofern ich mir das nicht nur zusammengesponnen habe, haben wir uns geküsst. Geküsst. Auf den Mund. Mein erster Kuss …
Ich war den Rest der Feier so benebelt, dass ich nur noch mitbekam, wie ich irgendwann ins Bett gefallen bin.
Du siehst, es bleibt spannend im Leben von Andrea Loredan.
Bis demnächst!
Norina:
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